+2 Daumen
994 Aufrufe

Antwort :  Weil es sich plausivel anhören und trotzdem falsch sein kann.

Neulich in einem Interview zur Corona-Ausbreitung  (sinngemäß, von mir ins Mathematische übersetzt) :

"Die Anzahl der Infizierten folgt einer Exponentialfunktion. Solange deren Basis größer als 1 ist, liegt Zunahme vor, wenn die Basis kleiner als 1 ist, liegt Abnahme vor. Nur wenn wir es schaffen, diese Basis unter 1 zu bekommen, beginnt die Anzahl zu sinken."

Damit das hier denn doch noch eine Frage wird :  Was ist an der Argumentation falsch ?

[spoiler]

exp.png

[/spoiler]

Avatar von
Was ist an der Argumentation falsch?

Man geht davon aus das die Basis über einen Zeitraum konstant bleibt. Aber so ist doch genau die Exponentialfunktion definiert.

Ob das jetzt falsch ist oder nicht lass ich aber mal im Raum stehen.

Ist aber zumindest eine interessante Überlegung.

Mathematische Argumentation allgemein verständlich und inhaltlich korrekt auszudrücken, ist ja auch fast unmöglich.

Fragen, die Kinder in der 6. Klasse beantworten könnten, sind in Quiz-Shows 64000 Euro wert, weil Mathe ja sooo schwierig ist.

Exponentielle Vorgänge mit konstanter Basis werden in Zeitungsberichten immer wieder falsch dargestellt. Bei variabler Basis eine verständliche Beschreibung a la "Flatten the curve" zu finden, erscheint mir dann ganz ok.

Dass die Reproduktionszahl, die kleiner als 1 sein sollte, nicht einfach die Basis einer Exponentialfunktion ist, kann man z.B. bei Wikipedia nachlesen.

Dass die Reproduktionszahl, die kleiner als 1 sein sollte, nicht einfach die Basis einer Exponentialfunktion ist, kann man z.B. bei Wikipedia nachlesen.

Eine Exponentialfunktion mit Basis 1 wäre ja auch eine konstante Funktion.

f(x) = a * 1^x = a

Dann hätte man ja überhaupt kein Wachstum mehr.

Eine Reproduktionszahl von 1 bedeutet allerdings das jede Person im Mittel genau eine weitere Person ansteckt. Und das dummerweise nicht in einem Bestimmten Zeitraum sondern für immer.

D.h. haben 1000 Leute jetzt das Virus und steckt jede Person genau eine weitere an dann haben 2000 das Virus. Die neuen 1000 Leute stecken allerdings wieder 1000 Leute an usw. Dann würde langfristig das Wachstum aber nicht zum erliegen kommen.

3 Antworten

+2 Daumen

An der Argumentation gibt es einen großen Fehler, der ist nicht so einfach zu sehen, aber klärt die Sache sofort auf. Das Zitat ist in der Hinsicht richtig, dass \(R>1\) Wachstum und \(R<1\) Rückgang bedeutet, aber nicht, dass die Infektionszahlen sich wie eine Exponentialfunktion verhalten, sondern sie verhalten sich lokal wie eine Exponentialfunktion. Angenommen, du hast in einer perfekten Welt, wo du die perfekten Daten gemessen hast, an Tag \(t_0=0\) genau einen infizierten und eine Reproduktionszahl von \(R=2\) auf den Tag gerechnet für die ersten 10 Tage. Was ist die Anzahl der Infizierten nach dem zehnten Tag? Ziemlich simpel \(R^t = 2^{10}\). So, Achtung, jetzt kommt der springende Punkt! Angenommen, nach dem zehnten Tag ist die Reproduktionszahl durch irgendwelche Maßnahmen auf \(R' = 1.5\) gesunken, was ist die Anzahl der Infizierten nach dem 12. Tag? Es ist eben nicht \(1.5^{12}\) (wie deine Formel denkt), sondern \(2^{10}\cdot 1.5^2\), denn die ersten zehn Tage hast du ein Wachstum mit \(R=2\) und erst die letzten zwei Tage \(R'=1.5\). Was dein Graph vergleicht sind Bevölkerungen, die von Anfang an unterschiedliche Wachstumsraten hatten und sogar unterschiedlich lange beobachtet wurde, sie sagen also etwas komplett anderes aus als das, was du denkst.


Ich bin übrigens immer etwas vorsichtig wenn ich solche politisch suggestiven Titel sehe (sie sind zumindest zu 0% mathematisch, so etwas wie "Warum darf man nichts glauben?" à la "Die da oben lügen uns an"), denn beim Leser dieser Frage kommt es so an, als würdest du behaupten, dass sich tausende von Forschern deinen Einwand noch nicht selbst überlegt hätten und zum Schluss gekommen sind, dass er einen Denkfehler beinhaltet. Es ist immer möglich in der Wissenschaft, Fragen oder Kritik zu äußern, aber dann bitte nicht direkt in der Frage suggerieren, dass du dir (zu unrecht) 100% sicher mit deiner Überlegung bist und es unmöglich ist, dass du dich vertan hast, sondern mit etwas neutralerer Wortwahl.

Avatar von
0 Daumen

Ausbreitung von Krankheiten kann niemals einer Exponentialfunktion folgen, schon deshalb, weil es sich um eine endliche Anzahl handelt. Eine Ausbreitung wird zwangsweise spätestens dann gestoppt, wenn alle Personen infiziert sind.

Avatar von

Das weiß ich selbst und darum geht es doch gar nicht.

Was auf den ersten Blick überraschend erscheint und dem Sprecher offenbar nicht bewusst war ist die Tatsache, dass der Graph von f trotz Wachstumsfaktor  b > 1  fallen kann.

0 Daumen

Hallo,

vielleicht muss man über f(t) integrieren. Dann ist ∫ b(t)t dt die gesuchte Größe.

Grüße

Mister

Avatar von 8,9 k

Ein anderes Problem?

Stell deine Frage

Willkommen bei der Mathelounge! Stell deine Frage einfach und kostenlos

x
Made by a lovely community